Imperialismus? Dieser Begriff gehört doch wohl eher in vergangene Jahrhunderte... Oder? Es gibt wohl kaum Menschen, die nach der Lektüre eines Geschichtsbuchs über die Vergangenheit europäischer Großmächte den Imperialismus des 16. bis 20. Jahrhunderts leugnen würden. Über Jahrhunderte hinweg haben Staaten des globalen Nordens in anderen Regionen der Welt geholt, was sie für ihre Wirtschafts- und Lebensweise für notwendig erachteten.1 Die Behauptung, eine Ausbeutung ähnlicher Art existiere noch heute, würde in unseren Kreisen wohl meist zu vehementem Kopfschütteln führen. Doch wie passt in diese Vorstellung der Fakt, dass die zehn ärmsten Länder der Welt alle reich an Rohstoffvorkommen sind?2 Die von dem Politikwissenschaftler Ulrich Brand und dem Wirtschaftswissenschaftler Markus Wissen verschriftlichte Perspektive der ,,imperialen Lebensweise‘‘ will mit solchen Vorstellungen aufräumen. Eine wesentliche Ursache der globalen und miteinander vernetzten Probleme stellt, so Brand/ Wissen, die Ausdehnung einer auf Profit und Wachstum basierenden Wirtschaftsweise dar.3 Dieses kapitalistische Wirtschaftssystem ist allerdings kein eigenständiges, abgekoppeltes System, sondern stark mit der Lebensweise der Menschen verwachsen.4 Der Kerngedanke des Begriffs ist, dass das alltägliche Leben einer kleinen, privilegierten Minderheit der Weltgesellschaft in großem Ausmaß über die Gestaltung der gesellschaftlichen und natürlichen Verhältnisse andernorts ermöglicht wird: Die Menschen der globalen Ober- und Mittelschicht, deren Anzahl auch in Schwellenländern wie Südafrika oder Indien zunimmt, verbrauchen überproportional viele Ressourcen. Dem Rest der Weltbevölkerung bleibt nur ein kleiner Zugriff auf Land, Wasser, Nahrung oder fossile Brennstoffe. Laut Brand/ Wissen kann sich eine solche Lebensweise nur dann aufrechterhalten, wenn sie in Alltagspraxen und Alltagsverstand der Menschen verankert ist und dadurch ,,natürlich‘‘ wird.5 Sie beruht auf der gesellschaftlichen Wahrnehmung, was ,normal‘ und erstrebenswert ist. Die imperiale Lebensweise steckt somit in unserem alltäglichen Handeln und unserem Denken genauso wie in der Güterproduktion, in Infrastrukturen und politischen Entscheidungen. Ihre Allgegenwart und Normalität macht sie stabil. Die Flugreise in den Kurzurlaub nach Spanien oder den ErdbeerSmoothie im Winter empfinden wir als ganz normal. Genauso normal sind die mehr als mangelhaften Arbeitsbedingungen und geringen Entlohnungen von Pflegekräften6, Zimmervermietungen für 600 Euro aufwärts, dauerhafter Stress bei der Arbeit und Manager, die 230-mal so viel verdienen wie ihre Mitarbeiter*innen. Solcherlei Zustände sind in unserem Alltagsbewusstsein verankert und erscheinen vielen als selbstverständlich und quasi naturgegeben. Wir lernen durch Bildung, Medien und Werbung, dass dieser Alltag, diese ‚naturgegebene Normalität‘ alternativlos ist. Im Kern der imperialen Lebensweise steht ein kapitalistisches Wirtschaftssystem, welches in erster Linie auf Wachstum und Profit abzielt. Es gibt allem einen Preis: Wohnen, Bildung, Pflege, Gesundheit7, auch menschlichen Beziehungen. Es setzt sie in Wert. In einen Wert, der sie finanziell rentabel macht: Produziert wird in erster Linie, was Profit bringt, nicht, was gebraucht wird. Und so steht es nun leider auch mit der Natur. Das menschliche Verhältnis zur Natur läuft innerhalb marktwirtschaftlichem Kalkül auf Beherrschung hinaus: In einer Weise, die natürliche Ressourcen dem Profitstreben von Unternehmen unterordnet und die Umwelt als bloße Rohstoffquelle (Bsp.: Wasser als das Öl des 21. Jahrhunderts8) oder als Mülldeponie begreift.
__________________________________________________________________________________________________________
1Vgl. medico International (2017): 21.
2Vgl. medico international (2017): 21.
3Vgl. Brand (2017): 44f.
4Vgl. I.L.A.- Kollektiv (2017): 8.
5Vgl. Brand (2017): 45ff.
6 Diesen Mangel führt uns die Corona-Pandemie in aller Deutlichkeit vor Augen.
Momentan ist ein stetiger Vormarsch industrieller landwirtschaftlicher Produktion weltweit zu verzeichnen... (hier weiter lesen)