Laut UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der UN, gibt es momentan 70, 8 Millionen Menschen auf der Flucht weltweit, davon sind 41, 3 Millionen Binnengeflüchtete.1 Verschiedene Schätzungen gehen davon
aus, dass Klimawandel und Naturkatastrophen bis zum Jahr 2050 bis zu eine Milliarde Menschen aus ihrer Heimat vertreiben könnten.Ursachen für Flucht und Vertreibung sollten jedoch auf keinen Fall
auf einzelne Phänomene wie Klimawandel oder lokale Bürgerkriege beschränkt bleiben. Denn dies würde den tiefer liegenden, oft komplexen Zusammenhängen nicht gerecht werden. Olaf Bernau, Aktivist
beim transnationalen Netzwerk ,Afrique- Europe- Interact‘ schreibt in diesem Zusammenhang: ,,Statt Fokussierung auf Einzelursachen sollte also gefragt werden, weshalb relevante Teile der
Weltbevölkerung derart arm sind, dass sie dem Klimawandel mehr oder weniger ausgeliefert sind. Denn dann würde sich rasch abzeichnen, dass die Menschen von vielfältigen Rahmenbedingungen in
Mitleidenschaft gezogen werden, und somit nicht nur Klima-, sondern auch WTO- oder IWFGeflüchtete sind.‘‘2
Die deutsche Hilfsorganisation Medico International konstatiert in Bezug auf die vorherrschende Betrachtung von Fluchtursachen: „Was nicht betrachtet wird, wenn über Flucht gesprochen wird:
Ungerechte Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, die weltweit dominierende Produktionsweise, Ausplünderung von Rohstoffen, Zerstörung lokaler Märkte.‘‘3 Was Betrachtung erhält, sind die Resultate:
Zerfall von Staaten, Verstädterung, gewaltsame Konflikte, menschengemachte Naturkatastrophen.4 Doch wie soll das jetzt mit Fleischkonsum in Verbindung stehen? Im Laufe der industriellen
Revolution ist es in den Industrieländern zu einem deutlich gestiegenen Konsum von Fleisch gekommen.5 Dieser suggeriert Fortschritt, die Überlegenheit des Menschen über andere Lebewesen und die
Natur.6 Doch ein übermäßiger Konsum von Fleisch oder tierischen Produkten wie Milch, Eier, Käse stellt eine ressourcenintensive, umweltschädigende und ausbeuterische Ernährungsweise dar.7 Als
Beispiel: Die Herstellung von einem Kilo Rindfleisch verbraucht im Laufe seiner Produktion ca. 15.400 Liter Wasser und bis zu 16kg pflanzlicher Nahrungsmittel.8 Diese werden zu einem Großteil
durch Import gewährleistet. Weltweit werden schon jetzt mehr als die Hälfte der nutzbaren Ackerflächen für den Anbau von solchen Futtermitteln genutzt, doch weiterhin werden massiv Feuchtgebiete,
Graslandschaften, Regenwälder in Ackerland verwandelt.9 Eswerden ca. 40% der weltweit gefangenen Fische, 50% des Getreides und 90-98% der Sojaernte an ,,Nutztiere‘‘ verfüttert.10 Mit den
Kalorien, die durch die Fütterung von 65 Milliarden geschlachteten Wirbeltieren 2012 (2020 voraussichtlich 100 Milliarden Tiere) verloren gingen, könnten ca, 3,5 Milliarden Menschen ernährt
werden11. Und das, während jeden Tag zwischen 6000 und 43.000 Kinder an den Folgen von Hunger sterben müssen.12 Außerdem entfallen etwa 85% der Klimabelastung durch die Landwirtschaft auf die
Fleischproduktion: Die Massentierhaltung ist Hauptverursacher für Feinstaub und produziert bis zu 28-mal mehr Treibhausgase als die Herstellung von Obst und Gemüse. Das Methangas, welches den
Mägen von Kühen während der Verdauung entweicht, ist 25-mal klimaschädlicher als CO2 und alles in allem für 18% der Treibhausgasemissionen verantwortlich.13 So werden die Konsequenzen der
Fleischproduktion zu einer zentralen Fluchtursache.
Doch soll dies hier nicht allein eine kurze Erzählung darüber sein, was grundlegend falsch läuft. Im Abschnitt “Alternativen im Hier und Jetzt“ unterhalb des Fließtextes werden einige Ansätze und
Ideen vorgestellt, die unter Berücksichtigung des hier bisher Beschriebenen im Hier und Jetzt Alternativen aktiv gestalten. Jede von diesen kurzen Vorstellungen ist mit Links versehen, mit
welchen man sich bei Interesse weiter mit den Themen auseinandersetzen kann.
Selbstverständlich können diese gelebten Alternativen nicht als losgelöst von einer imperialen Lebensweise gesehen werden. Nichtsdestotrotz zeigen sie auf, dass Produktion, Verteilung und
Konsumtion in der Landwirtschaft auch in größerem Rahmen so gestaltet werden kann, dass diese nicht oder in deutlich geringerem Ausmaß auf Kosten der beteiligten Menschen und der Natur geht.
Natürlich ist die weitere Verbreitung solcher Konzepte mit zahlreichen anderen gesellschaftlichen Entwicklungen verbunden. Nicht zuletzt mit unseren Vorstellungen von Wohlstand, dem Nutzen von
weiterem wirtschaftlichem Wachstum oder unserem Verhältnis zur Natur.
Festzuhalten ist: Das Klima wird nicht innerhalb nationaler Grenzen gerettet und auch nicht im BioSupermarkt. Kein nachhaltiger Klima- und Umweltschutz ohne grundlegende Kritik an einem alles in
Profit verwandeln wollenden Wirtschaftssystem. Wem diese Forderung zu drastisch, radikal oder unrealistisch vorkommt, der*die sollte sich vergegenwärtigen, wie drastisch, radikal und real die
globalen Krisen einem großen Teil der Weltbevölkerung schon jetzt, bzw. schon lange vorkommen mögen. Wer von der imperialen Lebensweise nicht reden will, sollte von der Klima- und Umweltkrise
schweigen. Wer die scheinbare Alternativlosigkeit dieser Art des Wirtschaftens und deren Rechtfertigung mit der Aussage beteuert, es hätte nichts anderes je funktioniert, der*die sollte
versuchen, mehr Perspektiven entlang der Wertschöpfungsketten von Supermarkt- Produkten einzunehmen, um zu erkennen, für wen das Ganze eigentlich „funktioniert“.
Es gilt das, was als normal gilt, anzuzweifeln und Alternativlosigkeiten grundlegend zu hinterfragen, auch wenn es einiges abverlangt. Alles andere rührt die Wurzeln der gegenwärtigen Klima- und Umweltkrisen nicht an, sondern trägt nur punktuellen und/ oder kurzfristigen Reformcharakter.
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1 Vgl. UNHCR (2019).
2 Ebd.: 5.
3 Medico International (2017): 5.
4 Vgl. ebd.: 5.
5 Vgl. Schwarz (2004): 51.
6 Vgl. I.L.A-Kollektiv (2017): 67ff.
7 Vgl. ebd.: 67ff.
8 Vgl. ebd.: 69.
9 Als aktuelles Beispiel kann der EU-Mercosur-Vertrag gelten: EU-Mercosur ist ein Handelsabkommen zwischen der EU und Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Es soll Zölle senken und Einfuhrquoten erhöhen, die derzeit noch für viele Produkte gelten. Heißt also: Die EU würde in großem Stil qualitativ mangelhaftes Fleisch importieren, dadurch europäische Bauern und Bäuerinnen in noch stärkere Konkurrenz gegen die Billigprodukte bringen und zu massiv verstärkter Abholzung des Amazonas- Regenwalds, höherer Treibhausgasemissionen und Grundwasserverschmutzung beitragen. https://www.campact.de/mercosur/ (Zugriff: 30.03.2020).
10 Vgl. Henrich (2016): 19.
11 Vgl. I.L.A-Kollektiv (2017): 64.
12 Vgl. Henrich (2016): 19.
13 Vgl. Werner-Lobo (2010): 102.
Das Konzept der Ernährungssouveränität, das 1996 von der transnationalen Bewegung „La Via Campesina“ begründet wurde, kämpft für die Umgestaltung des von Konzerninteressen dominierten...(hier weiter lesen)